Wie Weggiser Birnen-Schnaps die Umwelt rettet
Der Haldihof in Weggis ist nicht nur ein Geheimtipp für einen schattigen Rastort für müde Wanderer. Der Biohof erobert mit seinen Produkten auch die Konsumenten und gewann soeben den Umweltpreis 2016.
Weggis Bruno Muffs Geschichte klingt wie ein Märchen. In der Anfangszeit des Internets war er einer der Ersten, der Landkarten digitalisierte. Jahrelang arbeitete er mit seiner Firma daran, Landschaften vom Papier auf den Bildschirm zu bringen und mit Navigation zugänglich zu machen. Irgendwann klopfte die Firma an, die heute ein Internet- und Techriese ist: Google. Das Unternehmen kaufte die kleine Schweizer Firma, und mit dem Gewinn leistete sich Bruno Muff einen Bauernhof in Weggis. Und dort lebte er bis an das Ende seiner Tage? Ja, aber die Geschichte fängt jetzt erst richtig an.
Bruno Muff setzte sich nicht unter den lauschigen Obstbäumen am Südhang der Rigi zur Ruhe, sondern startete den «Haldihof», den erfolgreichen Biohof, der soeben von der Umweltstiftung ausgezeichnet wurde.
Im Haifischbecken
Als Unternehmer sah Bruno Muff im alten Bauernhof mit seinen Hochstammbäumen an sonniger Lage am Rigihang das Potenzial für ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Projekt in der biologischen Landwirtschaft. Was schnell mal kompliziert klingt, lässt sich einfach am Beispiel der Obstbäume erklären. Auf dem Haldihof stehen alte Hochstamm-Birnenbäume. Diese werden heute selten angepflanzt, weil die Ernte aufwendig ist, wenn die Früchte hoch hängen. Doch die Birnenbäume haben einen Vorteil. Bruno Muff erklärt: «Diese Bäume wurden während Jahrhunderten hier am Hang gezogen. Die stärksten Bäume wurden jeweils verwendet, um Jungbäume zu ziehen, immer wieder. So wuchs diese Sorte, die perfekt an diesen Ort in Weggis, mit diesen Bedingungen gewöhnt ist.» Sie haben sich an Klima, Umstände und Krankheiten angepasst. Sie sind äusserst robust.
Auf einem konventionellen Bauernhof hingegen wird jetzt vielleicht gerade eine Birnensorte gepflanzt, die in einem Labor in Holland oder sonst wo entstand. Die Sorte ist zwar süss und appetitlich grün und soll sich so gut verkaufen lassen. Doch eine Schweizer Wiese wäre für den holländischen Birnen Jungspund gefährlich: «Neue Sorten in einer neuen Umgebung zu pflanzen, das ist etwa so, als ob man ein Kind in ein Haifischbecken werfen würde», erklärt Bruno Muff. Damit die Züchtung nicht sofort Opfer von Schädlingen wird, muss ordentlich gespritzt werden. Die Birnen landen dann im Supermarkt, wo sie im nächsten Jahr zugunsten einer neuen Sorte ausrangiert werden.
Bruno Muff überlegt sich dagegen lieber, wie er seine Rigi Birnen veredeln kann, macht mal Schnaps draus und mal Marmelade.
Ein anderes Beispiel für die Methoden des Haldihofs: «Ich lasse jeweils einen Streifen Gras stehen neben meinem Obstgarten. Die Käfer im Gras fressen dann Schädlinge von den Bäumen. Dann fällt zwar ein Teil meiner Ernte weg, weil ich auf dem Land keine Bäume pflanze. Aber dafür habe ich eine ideale biologische Schädlingsbekämpfung.»
Kampf gegen das Artensterben
Das hört sich schön und gut an, aber was ist der langfristige Nutzen? Bruno Muff: «Die Förderung der Biodiversität ist das übergeordnete Ziel. Dass es in den Supermärkten nur wenige Sorten Äpfel zu kaufen gibt, obwohl es 800 Sorten gibt, gibt mir zu denken.» Dabei ist ein vielfältiger Genpool bei Pflanzen überlebenswichtig. Den Konsumenten ist oft nicht klar, wie wichtig jede Art von Pflanzen und Tiere für das Zusammenspiel in der Natur ist. Die verschiedenen Organismen sind voneinander anhängig in einem Masse, das oftmals nicht erforscht ist und erst klar wird, wenn es zu spät ist. Biohöfe wie Bruno Muffs Haldihof, die alte Sorten anpflanzen und natürliche Gegebenheiten in ihre ökonomischen Prozesse mit einbeziehen, anstatt sie als Feind zu behandeln und auszurotten, leisten darum essenzielle Arbeit zur Erhaltung der Natur und des Lebensraum der Menschen.
«Ein krasser Gegensatz dazu sind Agrar-Grosskonzerne», sagt Bruno Muff. Mit ihrem auf Hochleistung gezüchteten Saatgut verkaufen sie den Bauern gleich noch das passende Spritzmittel, damit das Saatgut überlebt. Weil dann aber auch Nützlinge sterben, muss noch mehr gespritzt werden. Und ein Hof, der einmal umgestellt hat auf solches Saatgut, hat zwar eine Ernte, auf die er zählen kann. «Doch für das Land und die Umwelt sind solche Methoden der Bewirtschaftung auf lange Zeit schlecht. Ein riesiger Genpool geht verloren.»
Der Haldihof zeigt, mit welchen sanften Methoden und altem Wissen Biobauern arbeiten. Die Schnäpse, Konfitüre, Trockenfrüchte vom Haldihof werden über Partner wie den Coop in Luzern oder den Ueli Hof, und natürlich im eigenen Hofladen vertrieben.
Auf dem Haldihof sind Wanderer zudem herzlich willkommen, sich hinzusetzen, ein Glas Most zu trinken, die Aussicht zu geniessen und im Shop zu stöbern.
Die Suche nach Innovation
Für den Mispel-Schnaps, den Bruno Muff brennt, gibt es sogar Wartelisten. Die Mispel ist eine heimische, aber wenig bekannte Frucht, die wie eine Mischung aus Apfel und Beere schmeckt.
Entgegen dem Klischee der Biobauern als Ideologe oder Aussteiger, ist Bruno Muff in erster Linie ein Unternehmer. Er setzt zwar auf kreative Ideen, aber rechnet auch genau. Ist das Produkt schon auf dem Markt? Kann der Haldihof es besser, anders machen? Gibt es Abnehmer?
Bruno Muff sieht eine zukunftsfähige Landwirtschaft in der Schweiz in innovativen Produkten und natürlich in der Biosparte. Denn: Die Nachfrage sei da.
Eine schöne Auszeichnung für die Familie Muff und alle Helfer kam in Form des Umweltpreises der Schweizerischen Umweltstiftung, den Bruno Muff am 19. Mai entgegen nehmen durfte. Nein, in die Ferien können die Muffs mit den 10'000 Franken nicht fahren. Aber Ferien vermissen sie nicht. Sie werden stattdessen noch mehr alte Baumsorten pflanzen.
Simone Knittel