Kampf gegen das Katzenelend
Die Tierschutzorganisation NetAP versucht mit Kastrationen die explodierende Katzenpopulation einzudämmen
Laut Schätzungen leben inder Schweiz über 1,7 Millionen Katzen, Tendenz steigend. Viele sind verwildert, in schlechtem Zustand und vermehren sich dennoch unkontrolliert. Um diesem Leid entgegenzuwirken, opfern Freiwillige wie Nadine Broch so manch gemütlichen Feierabend.
Es ist schon eine Weile dunkel, als Nadine Broch am Ort des Geschehens eintrifft – ausgerechnet heute musste sie länger arbeiten. Ihre Schwester und die Mutter sind kurzerhand eingesprungen und haben bereits einige Katzen eingefangen. Sie wirken optimistisch, dass der Abend nicht allzu lang wird. Nadine geht zuerst mit dem Bauern nochmals die Katzen durch, die eingefangen werden müssen. Tatsächlich fehlen nur noch zwei, welche scheinbar meist nur morgens auftauchen. Nun heisst es also abwarten, bis die beiden Nassfutter-Fallen zuschnappen. «Wir kastrieren immer ausnahmslos alle Tiere», erklärt Nadine Broch. «Sonst bringt die ganze Übung nicht viel und wir treffen hier in ein, zwei Jahren wieder dieselbe Situation an.» Momentan leben auf dem Hof auch einige Jungtiere. Da mehrere krank sind, hat Nadine sie schon zum Tierarzt gebracht. Nicht für alle kam die Hilfe rechtzeitig. «Bei den Kitten kann es manchmal sehr schnell gehen», spricht die NetAP-Freiwillige aus Erfahrung. «Deshalb nehme ich die Kränkelnden jeweils so früh wie möglich mit, um noch zu retten, was zu retten ist.»
Auf Hilfe angewiesen
Die Gründe, weshalb Landbesitzer halbwilde Katzen nicht kastrieren wollen, sind vielfältig, für die Geschäftsführerin von NetAP Esther Geisser jedoch gänzlich unverständlich: «Katzen sind domestizierte Haustiere, keine Wildtiere. Entsprechend sind wir Menschen auch verpflichtet, ihnen zu helfen und diese Hilfe ist bitter nötig.» Nichts tun ist für Geisser keine Option. «Aus einem unkastrierten Katzenpaar können innert 10 Jahren rein theoretisch 80 Millionen Katzen hervorgehen», rechnet sie vor. «In der Praxis sterben viele dieser Katzen einen frühen und oft qualvollen Tod, nicht selten durch den Menschen auch noch aktiv herbeigeführt.» In sämtlichen Ländern, wo zu wenig kastriert werde, komme es irgendwann gar zu Massentötungen. Deshalb ist Geisser überzeugt, dass die Kastration das einzige tiergerechte Mittel ist, die Überpopulation in den Griff zu bekommen.
Volle Tierheime
Auch die Tierheime verzeichnen ein wachsendes Katzenproblem. Die Zahl jener Tiere, die im Tierheim abgegeben werden, da ihre Halter sie nicht mehr wollen, steigt laut den Zahlen von NetAP jährlich um 10 Prozent. «2022 hatten wir zum ersten die Situation, dass unsere Partner-Tierheime praktisch durchgehend voll waren», erzählt Esther Geisser. «Erschreckend ist zudem, dass immer mehr Katzen in einem schlechten Zustand sind. Mehr als ein Drittel der Katzen, die wir zum Kastrieren einfangen, braucht weit mehr als das übliche Programm mit Kastration, Antiparasitenbehandlung, Impfung und Markierung.»
Um ein exponentielles Wachstum dieses Leides zu verhindern, stehen die Freiwilligen von NetAP oftmals stundenlang in der Kälte, bis alle Katzen eingefangen sind. Da Hauskatzen jeweils vom Frühling bis in den Herbst werfen, können die Tierschützer nur im Winter sicher sein, dass sie keine Mutter von Jungen einfangen, die bis zu ihrer Freilassung bereits verhungert wären.
«Allein in meiner Region mache ich ca. 4 bis 5 Höfe pro Winter», erzählt Nadine Broch. Dazu gehört ein Vorgespräch mit dem Landwirt, um die Rahmenbedingungen zu vereinbaren, das Einfangen und der Transport zum Tierarzt hin und zurück. In der Regel beteiligen sich die Landwirte mit einem kleinen Betrag an der Aktion. Für zugelaufene, verwilderte Büsis verzichtet NetAP auch mal auf diesen Zustupf und deckt die ganzen Kosten durch Spenden ab. In den allermeisten Fällen sind Bauernhöfe betroffen, manchmal aber auch Schrebergärten oder sonstige abgelegene Wohnhäuser. «An einem Ort fanden wir mal über 30 Katzen», erzählt Nadine schaudernd. Dennoch empfangen nicht alle die NetAP-Freiwilligen mit offenen Armen. «Das krasseste Erlebnis war, als man versuchte, uns mit dem Schlauch abzuspritzen», sagt sie. «Wir haben es manchmal schon mit schrulligen Leuten zu tun. Die allermeisten sind aber froh um unsere Hilfe.»
Irene Müller